09:14 BAUPRAXIS

Einhausung in Schwamendingen: Mehr als blosser Lärmschutz

Geschrieben von: Corinne Pitsch-Obrecht (cpo)
Teaserbild-Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Nach sechs Jahren Bauarbeiten und insgesamt über 25 Jahren Planung ist das Jahrhundertprojekt «Einhausung» Realität: Die Autobahn A1 in Schwamendingen wurde nicht nur mit einer simplen Überdachung versehen, sondern vielmehr mit einer ausgeklügelten Einhausung, auf welcher ein Park für die Quartierbevölkerung entstanden ist. Vor Kurzem wurde das vollendete Projekt nun eröffnet.

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Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Während der Verkehr unten rollt, herrscht oben friedliche Idylle – endlich.

940 Meter. So lang ist die erste Einhausung der Schweiz. 940 Meter, für welche die Anwohner lange kämpfen mussten: Mehr als 25 Jahre nachdem die Quartierbewohnerinnen und Bewohner ihre Volksinitiative mit der Forderung nach einer Überdeckung der Autobahn eingereicht hatten, wurde diese nun Anfang Mai feierlich eröffnet. Das Megaprojekt war ein Schulterschluss und dies nicht nur auf politischer Ebene: Insbesondere die Quartierbewohner tragen einen grossen Mitverdienst daran, dass die Einhausung der Autobahn erfolgreich realisiert werden konnte. Waren es doch sie, welche jahrelang dafür kämpften, dass sich etwas ändert. 

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Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Am Tag der Eröffnung zog der Überlandpark bereits viele interessierte Anwohner und Besucher an.

Ein langer Weg mit vielen Hürden

Die Diskussionen um die Einhausung sind so alt wie die Autobahn selbst. Seit die Autobahn 1980 eröffnet wurde, regte sich Widerstand gegen den immer stärker zunehmenden Verkehr, die Abgase und den Lärm. Über 120 000 Fahrzeuge brettern tagtäglich durchs Quartier, dreimal mehr als beim berühmt-berüchtigten Osterstau am Gotthard. Eine Belastung sondergleichen für alle Anwohner. Bei der Eröffnung der Autobahn war der Bevölkerung zwar eine Kanalisierung des Verkehrs versprochen worden, ebenso wie «ästhetisch gefällig gestaltete» Lärmschutzwände, wie es im soeben erschienen Taschenbuch zum Überlandpark nachzulesen ist (siehe Infobox).

Es kam jedoch anders als erhofft und so wurden die Schwamendinger selbst aktiv. In den folgenden Jahren gab es verschiedene Versuche, die lärmige Autobahn-Problematik anzugehen. So hatte beispielsweise der Architekt Pierre Zoelly die Idee gehabt, die Schnellstrasse (welche bereits vor der Autobahn existiert hatte), mit Gewerbe- und Wohnbauten zu überbauen. 1991 schliesslich reichte der Kantonsrat Peter Roth ein Postulat ein mit der Forderung, die Autobahn mit einem «Glashaus» zu ummanteln. Diese Idee wurde jedoch sowohl vom Kantonsrat wie auch von der Stadt abgelehnt. Das Projekt war städtebaulich sehr umstritten, finanziell nicht realisierbar und wurde nicht zuletzt auch aus Sicherheitsgründen abgelehnt. Stattdessen schlug der Stadtrat vor, entlang der Autobahn drei Meter hohe Lärmschutzwände aufzubauen.

Für die Schwamendinger war dies lediglich ein Tropfen auf den heissen Stein. Sie organisierten sich und gründeten 1997 den Verein «Einhausung Autobahn Schwamendingen». Ziel des Vereins sollte es sein, eine Volksinitiative zu lancieren, welche von sämtlichen Seiten abgestützt werden würde. Von links bis rechts, von Mietern und Hausbesitzern, Investoren und Genossenschaften: Der Verein schaffte es, alle betroffenen Parteien ins Boot zu holen und die Volksinitiative im März 1999 bei der Staatskanzlei einzureichen. Niemand konnte zu jenem Zeitpunkt ahnen, dass es ein Vierteljahrhundert dauern würde, bis das Grossprojekt endlich vollendet sein würde. 2001 gründeten die Schwamendinger Baugenossenschaften zudem zusammen den Verein «IG pro zürich 12». Der Verein besteht aus 15 gemeinnützigen Wohnbauträgern, welche insgesamt über ein Wohnungsvolumen von über 5200 Wohnungen im Quartier verfügen. Zusammen mit dem Verein für die Einhausung leisteten sie essenzielle Arbeit und wurden nicht müde, bei den unterschiedlichen politischen Ebenen für ihr Projekt zu kämpfen.

Entrauchung

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Von diesen sehr markanten Aufbauten gibt es im ganzen Park insgesamt 17 Stück. Bei einem Notfall im darunter gelegenen Autobahntunnel dienen sie als Öffnung für die Entrauchung.

«Deckel drauf» – und zwar im besten Sinne 

Anfang Mai schliesslich konnte die Einhausung endlich eröffnet werden. Bei einem feierlichen Anlass vor Medienvertretern wurde das Projekt vorgestellt und eingeweiht, bevor es dann am Folgetag der Öffentlichkeit übergeben wurde. Bundesrat und UVEK-Vorsteher Albert Rösti war ebenfalls vor Ort dabei und erklärte, dass das Projekt massgebend sei für künftige Infrastrukturprojekte in der Schweiz; aufgrund der gesteigerten Mobilität im Land würden wohl weitere Verkehrsknotenpunkte folgen müssen. Er betonte, dass solche Projekte eben nur dann Realität werden würden, wenn alle partnerschaftlich zusammenarbeiten würden. Ein klarer politischer Wille müsse sowohl in der Bevölkerung als auch auf allen drei politischen Ebenen vorhanden sein. Ansonsten bleibe es beim Wunschdenken. Als Verkehrsminister der Schweiz hat Albert Rösti erkannt, dass der Verkehr und der wenige Raum zu den grossen Herausforderungen unserer Zeit gehören. Neue Wege sind erforderlich, um diese zu meistern. Wie Albert Rösti abschliessend bemerkte, zeige die Einhausung gut, dass dies möglich sei. Es sei eine Lösung entstanden, von der alle profitierten. 

BR Rösti

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Bundesrat und UVEK-Vorsteher Albert Rösti bei seiner Rede am 9. Mai.

Regierungsrätin Carmen Walker-Späh ihrerseits sprach von der sogenannten «Deckel-Drauf-Mentalität». Diese würde normalerweise Kritisches unterdrücken und zu Stillstand führen. Die Einhausung, in welcher ebenfalls ein «Deckel» aufgesetzt wurde, bedeute dieses Mal jedoch, dass das Ziel erreicht worden sei. Hier sei ein Deckel auf etwas gelegt worden, was früher als unüberwindbares Hindernis gegolten habe, wie sie ausführt. Wie Carmen Walker-Späh weiter ausführte, werde der «Deckel» den Charakter des Quartiers sofort verändern. Als Analogie gab sie den High-Line-Park in Manhattan an, welcher heute ein Touristenmagnet ist und für viel «Grossstadt-Feeling» sorge. Gross sei auch der Berg an Akten geworden über die Jahre. Wie Carmen Walker-Späh abschliessend bemerkte, betrage die Gesamtlänge aller Akten der Verwaltung zur Einhausung fast 9 Meter. Umso erleichterter dürfte sie also nun sein, dass der Deckel auch hier bald «drauf» ist. 

Stadtpräsidentin Corine Mauch zeigte sich ebenfalls zuversichtlich und betonte, dass die Einhausung eine «grosse Wunde» sei, welche «endlich geschlossen werden könne». «Was lange währt, wird endlich gut» meinte sie und spielte damit auf die schwierige und vor allem langwierige Geschichte an. Auch sie vermerkte, dass es keine Einhausung geben würde ohne die Hartnäckigkeit der Anwohner. Stadträtin Simone Brander war ebenfalls erfreut und zeigte sich optimistisch in ihrer Ansprache. Sie betonte, dass dies der Beginn einer neuen Ära sei für Schwamendingen und dass die Einhausung ein Geschenk sei, welches nun an die Bevölkerung übergeben werden könne.

Gruppenfoto

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Ein grosser Tag für Alle: Regierungsrätin Carmen Walker-Späh, Stadtpräsidentin Corine Mauch, Vereinspräsident Jürg Rüegger («Einhausung Autobahn Schwamendingen»), Bundesrat Albert Rösti, Stadträtin Simone Brander und Vereinspräsident Thomas Lohmann («IG pro zürich 12») (v.l.n.r.)

Bald folgen die nächsten Baustellen

Offen bleibt indes, wie sich die Veränderung im Quartier auf die Bevölkerung auswirken wird. Eine derartige und offensichtliche positive Veränderung kann potenziell eine regelrechte «Gentrifizierungs-Welle» auslösen, welche nicht nur mehr Lebensqualität mit sich bringt, sondern in ers-ter Linie höhere Mieten. Alteingesessene Schwamendinger könnten möglicherweise aus dem Quartier vertrieben werden, wenn sie sich die neuen Mieten nicht mehr leisten können. Tatsächlich sind entlang des Überlandparks bereits eine Vielzahl von Ersatzneubauten geplant und teilweise auch bereits ausgesteckt. Beim Spaziergang durch den Überlandpark fällt auf, dass links und rechts des Parks zahlreiche Bauprojekte vorgestellt werden. Entlang des Überlandparks wurden insgesamt sieben Projektposter für verschiedene Siedlungen angebracht, was ein deutliches Zeichen für die bald rege Bautätigkeit ist. Derzeit umfassen die Siedlungen jeweils zwischen 54 und 103 Wohnungen. Einzige Ausnahme: Die Siedlung «Luegisland» der Genossenschaft «bahoge» verfügt bereits heute über 208 Wohnungen. Sämtliche Siedlungen werden in den nächsten Jahren ersetzt: Bei drei Siedlungen starten die Bauarbeiten bereits 2026, bei zwei weiteren 2029. Die Überbauung «Siedlung am Park» soll spätestens 2035 bezugsbereit sein. Einzig bei der «Luegisland»-Überbauung ist das Datum noch ungewiss: Bei der Überbauung von 1964, welche zwischen dem Überlandpark und dem Freibad Auhof gelegen ist, werden zum Zeitpunkt der Park-Begehung im Mai noch keine konkreten Zahlen genannt. Die Gespräche dazu zwischen der bahoge und anderen Grundeigentümern laufen noch. 

Etwas haben jedoch alle Neubauten gemein: Die Anzahl projektierter Wohnungen fällt bei jeder Siedlung mindestens 1,5-mal grösser aus als der aktuelle Ist-Zustand. So ergeben die ausgeschilderten Siedlungen aktuell ein Wohnungstotal von 725 Wohnungen. Bereits bekannt ist aktuell der Neubau von 1025 Wohnungen – dazu kommen noch die Wohnungen der «Luegisland»-Überbauung. Bei einer Vergrösserung um 50 Prozent wären dies zusätzliche 312 Wohnungen, also insgesamt 1337 Wohnungen, welche entlang dem Überlandpark neu gebaut werden in den nächsten drei bis 10 Jahren.

Schon Napoleon war hier

Wie Jürg Rüegger, Präsident des Vereins «Einhausung Autobahn Schwamendingen», im Gespräch erklärte, bestünde für die Projekte entlang der Einhausung ein Bauvolumen von 1,5 Milliarden Franken. Ohne Zweifel wird diese Riesensumme den Charakter des ehemaligen Arbeiterquartiers Schwamendingen stark verändern. Jürg Rüegger betont, dass diese Bauvolumen auch ganz andere Kommunikationskanäle in der Gemeinschaft bedeuten würden: «Wir werden sehr stark auf elektronische Kanäle setzen, gerade auch bei den Genossenschaften, um innerhalb der Mitgliederschaft die Partizipation auf einem hohen Niveau zu halten.» Bereits jetzt gibt es innerhalb der Genossenschaften eigene Apps, mit welchen die Bewohner kommunizieren können. Schwamendingen sei diesbezüglich sicher «Avantgarde», wie Jürg Rüegger humorvoll sagt. Die Genossenschaften seien derart vernetzt, dass sie gemeinsame Planungsprozesse machen und gemeinsam die Verteilung der Gemeinschaftsräume organisieren würden beim Bau. Zudem: Während den Umzügen werde gemeinsam ein Wohnungsersatz angeboten. Wie Jürg Rüegger sagt: «Es ist ein Riesenaufwand, aber sie machen es super.» Was entgegnet er kritischen Stimmen, welche das Projekt zu teuer oder sonst mangelhaft finden? Jürg Rüegger entgegnet, dass auch diese Stimmen ihre Berechtigung hätten. Allerdings gäbe es diese Verkehrsachse nun einmal, man könne einzig sicherstellen, dass sie gut funktioniere. Schliesslich habe bereits Napoleon um die Bedeutung des Weges durch Schwamendingen gewusst.

JR

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Jürg Rüegger, Vereinspräsident «Einhausung Autobahn Schwamendingen»

Kleiner historischer Exkurs

Was er damit meint: Als im Herbst 1799 Truppen Österreichs und Russlands von Napoleon Bonaparte aus der Stadt Zürich vertrieben wurden, mussten diese auf ihrem Weg in Richtung Norden durch Schwamendingen flüchten. Dort kam es zu einer der letzten Schlachten. Die französische Armee obsiegte schliesslich, wenn auch verlustreich, und mit ihr Napoleon. 90000 Mann waren zu dieser Zeit in der Limmatstadt stationiert. Frankreich hatte 1797/98 die Schweiz besetzt und die Helvetische Republik ausgerufen. Im Frühjahr 1799 entfachten die Franzosen in Europa den Zweiten Koalitionskrieg. Die Koalitionspartner, zunächst die Österreicher und später russische Truppen, eröffneten im Juni 1799 eine Offensive auf Zürich und vertrieben die Franzosen aus ihrem strategischen Verteidigungspunkt (erste Schlacht von Zürich).

Doch dieser Erfolg war nur von kurzer Dauer. Bereits im September erkämpften sich die Franzosen die Stadt in einer verheerenden Rückeroberung zurück, woraufhin die Russen Zürich fluchtartig räumen mussten (zweite Schlacht von Zürich). Ob die Einhausung Schwamendingen in gleichem Masse verändern wird, wie dies Napoleon vor über 200 Jahren mit der Schweiz gelang, wird die Zukunft zeigen. 

Pavillon-Café

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Auch für das leibliche Wohl soll gesorgt sein: Im Pavillon (auf der Höhe der Saatlenstrasse) gibt es ein Café, welches zum Verweilen einlädt.

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Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Blick ins Innere des Cafés.

Quo vadis Schwamendingen?

Thomas Lohmann, Präsident des Vereins «IG Pro Zürich 12» zeigt sich zwar kampflustig: «Wir sind noch nicht am Ziel», sagt er und erklärt, dass die Einhausung ein Meilenstein am Start vieler weiterer Meilensteine sei. Trotzdem ist er sich der Gefahr, welche vom Erfolg dieser Meilensteine ausgeht, durchaus bewusst. Er betont, dass eine Verdrängung ganzer Bevölkerungsgruppen drohen könnte. Dabei sei es wichtig, dass die positive Entwicklung, welche das Quartier aktuell erlebe, nicht auf Kosten der Menschen geschehe, welche schon lange in Schwamendingen lebten. Die soziale Durchmischung des Quartiers solle weiterhin gefördert werden, damit alle Menschen, unabhängig ihres Einkommens, ihre Wurzeln und ihr Zuhause in Schwamendingen bewahren könnten.

Der Verein, welcher die Interessen von insgesamt 15 Genossenschaften vertritt, unterstützt dieses Ziel konkret. So würden die Genossenschaften Anwohnern aktiv die neuen Wohnungen anbieten, damit diese weiterhin bleiben respektive nach dem Umbau zurückkehren könnten. Dank der Tatsache, dass die Genossenschaften circa 50 Prozent der Wohnungen im Quartier besitzen, dürften so manche Hoffnungen auf nicht allzu astronomische Mieten zumindest ansatzweise erfüllt werden.

Auf die Frage, was der Tag der Eröffnung für ihn persönlich bedeute, meint er abschliessend: «Es bedeutet primär die Gewissheit, dass Vernetzung und demokratische Prozesse auch für Visionen funktionieren, die ein Zusammenspiel zwischen der Bevölkerung und allen politischen Ebenen und Institutionen verlangt. Der Tag bedeutet für uns auch, dass wir nun in der Pflicht stehen, den neuen Park mit möglichst viel Gefühl für die Quartierbevölkerung in das städtebauliche und sozialräumliche Gefüge in Schwamendingen einzugliedern.»

Ein Dorf, in dem man sich kennt

Im Gespräch mit dem Baublatt haben viele Schwamendinger und weitere Besucher den neuen Überlandpark einhellig gelobt. Sie zeigen sich erfreut, dass nicht nur die Autobahn «weg» ist, sondern dass es obendrauf noch einen Park gibt mit Spielplätzen, Pflanzen und einem Café. Gleichzeitig sind viele Betroffene verunsichert, wie es mit «ihrem» Schwamendingen nun weitergehen wird. Zu präsent ist die Angst vor hohen Mieten und Gentrifizierung. Die Vizepräsidentin des Quartiervereins Schwamendingen, Dany Hermel, erklärt im Gespräch, dass Schwamendingen aktuell noch ein Dorf sei. Man kenne sich, man grüsse sich noch unterwegs. Die Angst, dass dieser Charakter verloren gehen könnte, sei definitiv da. Aus diesem Grund engagiere sich der Quartierverein sehr stark, um die Leute zusammenzubringen. Tatsächlich ist der Quartierverein Schwamendingen sehr aktiv und auf mehreren Kanälen präsent: Nebst einer Webseite verfügt der Verein auch über Auftritte auf drei verschiedenen Social Media-Plattformen. Ausserdem hat Schwamendingen sogar einen eigenen TV-Sender: «Tele Schwamendingen», das «erste Zürcher Quartierfernsehen». 2025 feiert es bereits sein 20. Jubiläum.

Trotzdem seien Veränderungen auch in Schwamendingen bereits jetzt spürbar, sagt Dany Hermel. Zwar sei die Veränderung noch nicht so extrem wie in anderen Quartieren; aber bereits jetzt gebe es Menschen, welche sich aufgrund steigender Mieten nach einer neuen Bleibe umsehen müssten. Dabei sollen die Menschen auch künftig sagen können «ich lebe in Schwamendingen» und nicht nur «ich wohne in Schwamendingen», wie Dany Hermel betont. Und sie muss es wissen: Bevor sie nach Schwamendingen gekommen sei, sei sie 19-mal umgezogen. Der 20. Und letzte Umzug schliesslich erfolgte nach Schwamendingen – und dies vor 22 Jahren.

Quartierverein-Dany Hermel

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Dany Hermel, Vizepräsidentin Quartierverein Schwamendingen

Ideen gegen graue Wände

Mirella Wepf wohnt zwar nicht in Schwamendingen, verfolgt aber als ehemalige Gemeinderätin von Zürich und Kommissionsmitglied die Entwicklung der Einhausung schon lange. An die Eröffnung ist die Journalistin als Besucherin gekommen, um das Resultat in seiner nun endlich vollendeten Form zu sehen. Sie betont, dass am Beispiel von Schwamendingen gut sichtbar werde, wie wichtig Raumplanung sei. Früher seien einfach Autobahnen mitten durch ein Quartier gebaut worden. Später müssten diese dann mittels einer teuren «Pflästerli»-Politik verbessert werden. Schwamendingen kann so je nach Perspektive gut als Vorbild oder eben Mahnmal für weitere Bauprojekte dienen. Sie findet aber den Überlandpark ebenfalls gut gelungen und begrüsst die unterschiedlichen Spielmöglichkeiten. Eine Idee hätte Mirella Wepf noch im Bezug auf die Seitenwände: In Ihrer Zeit als Gemeinderätin habe sie seinerzeit ein Postulat eingereicht mit der Frage, ob an der Seitenwänden Boulder-Wände erstellt werden könnten. 

Die Seitenwände des Parkes wurden im Projekt als sogenannte Mauergärten geplant. Dabei wachsen von unten Kletter- und Spalierpflanzen, während von oben Schleppenpflanzen herunterhängen. Die Kombination der beiden Seiten vereinigt sich zu einer vielfarbigen Vegetationstextur, wie es im Buch mit dem Titel «Einhausung & Hochpark – Gestaltung der Autobahneindeckung und des Ueberlandparks in Zürich Schwamendingen» heisst. Das Buch fungiert als eine Art Reiseführer für den neuen Überlandpark und gibt nicht nur wertvolle Informationen zum Bauprojekt, sondern auch detailliertes Hintergrundwissen zur Pflanzenwelt. Auf fast 200 Seiten fasst er Wichtiges und Informatives über das Bauwerk sowie über die Flora und Fauna zusammen (siehe Infobox).

Wand

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Eine der Seitenwände des Parks. Ob hier noch Weiteres entstehen wird nebst Bepflanzung wird sich zeigen.

Einschränkungen für die Pflanzen

Die Bepflanzung des Überlandparks stellte indes die Planer vor eine grosse Herausforderung. Aufgrund des unter dem Park liegenden Autobahntunnels ist die Bodenschicht im Park nicht allzu hoch: Lediglich 40 (Schöneich) respektive 90 Zentimeter (Aubrugg). Die Bäume des Parks (sogenannte Flachwurzler) müssen sich dem anpassen. Dazu kommt, dass die Nutzlast beschränkt ist. Der Park wird nicht künstlich bewässert, was in Anbetracht der immer häufiger auftretenden Hitze- und Trockenheitsphasen eine weitere Herausforderung darstellt für die Pflanzen. Die Pflanzenwelt im Park hat also mit extremen Bedingungen zu kämpfen. Ideal eignen sich dafür Pflanzen, welche auch in der Natur ähnliche Lebensbedingungen haben und diesen trotzen können. Als Beispiele diente beispielsweise die karge Felslandschaft des Kantons Jura. Damit setzt der Überlandpark einen Kontrast zum sonst sehr üppigen und grünen Quartier Schwamendingen, welches nicht umsonst auch «Gartenstadt» heisst.

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Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Beim grossen Brunnen auf der Höhe Saatlen hat es sogar Bötchen für die Kleinen.

Fazit

Abschliessend lässt sich sagen: Die Einhausung von Schwamendingen ist wahrhaftig ein Jahrhundertprojekt. Ein Erfolg, welcher dank einer Vielzahl von Akteuren auf allen politischen Ebenen zustande kam, angetrieben von einer sehr engagierten Quartierbevölkerung. Einer Quartierbevölkerung, welche mit ihrem unermüdlichen Kampfgeist aufzeigt, wie erfolgreich direkte Demokratie sein kann. Es bleibt den Menschen von Schwamendingen zu wünschen, dass sie die Früchte ihres Erfolgs langfristig geniessen können – und nicht aus ihrem Quartier verdrängt werden. 

Rutschbahn2

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Die Rutschbahn steht Gross und Klein offen.

Rutschbahn

Quelle: Corinne Pitsch-Obrecht

Erlebte am Tag der Eröffnung einen Ansturm: Die Rutschbahn vom Park runter zu den Wohnhäusern.

Buch zum Überlandpark

Foto vom Buch

Quelle: zvg

Pünktlich zur Eröffnung des Überlandparks ist das Buch «Einhausung & Hochpark: Gestaltung der Autobahneindeckung und des Ueberlandparks in Zürich Schwamendingen» erschienen. Das vom Journalisten und Historiker Adi Kälin in Zusammenarbeit mit agps architecture sowie Krebs und Herde Landschafts-architekten verfasste und im Taschenbuch-Format gehaltene Werk führt den interessierten Leser durch die Entstehungsgeschichte des Überlandparks. Auf insgesamt 192 Seiten und mit über 330 Bildern illustriert, erläutert der «Exkursionsführer» auf interessante Weise die Problematik der Situation, das Bauwerk und seinen dazugehörigen Park. Ausserdem werfen die Autoren auch einen interessanten Blick auf die naturkundlichen Aspekte des Parkes: So werden die vielfältigen Bepflanzungen und Refugien für Tiere erklärt; ist doch gerade die im Überlandpark herrschende Situation eine spezielle Herausforderung für die Pflanzenwelt. Eine schöne und handliche Publikation für alle, welche das Projekt näher kennenlernen möchten. Das Buch kann für 19 Franken beim Verlag «Park Books» erworben werden.

Mehr Infos unter: www.park-books.com

Geschrieben von

Redaktorin Baublatt

Begeistert von Bauprojekten aller Art. Weitere Interessensbereiche sind Politik, Management und Gesellschaft/Kultur. Zudem ist sie für die Kolumnen zuständig und steht deshalb in Kontakt mit allen grossen Verbänden.

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